
Spiral Dynamics – Einführung
Alles Leben will wachsen und sich auf persönlicher, kollektiver,
gesellschaftlicher und organisatorischer Ebene entwickeln.
Unser individueller und kollektiver Entwicklungsweg
«Warum reagieren Menschen so unterschiedlich auf Situationen?» – «Warum mögen manche Menschen vorwiegend Äusserlichkeiten und orientieren sich am Schein, d.h. an Labels, Luxus, Celebrities, wogegen andere die Tiefe der Existenz suchen und das Sein im Blick haben, sich für Natur und Gesellschaft, Leben und Tod interessieren und engagieren?» – Diese Fragen hatte sich der Psychologe Clare W. Graves gestellt. So sammelte er im Laufe der 50er Jahre einschlägige Daten und erstellte ein Modell[1]. Auf Graves’ Forschungen aufbauend und in Anlehnung an die Entwicklungspsychologie von Jean Piaget haben Mitte der 90er Jahre Don Beck und Chris Cowan ein spiralförmiges, nach oben offenes Modell über 9 Ebenen (mit fliessenden Übergängen) entwickelt, welches eine individuelle und ebenso eine gesellschaftlich-kulturelle Bewusstheitsentwicklung zeigt, welches sie Spiral Dynamics© – den Ausdruck gibt es nur auf Englisch – nannten.
Jede Ebene hat ihre starken/hellen und ihre schwächeren/dunkleren Seiten, was nur eine Beobachtung und keine Wertung ist. Ihre Gaben sind im Titel jeder Ebene in Klammern bezeichnet.
Wenn sich eine neue Ebene (Stadium/Schritt) entfaltet, ändern wir auch unser Verhalten und unsere Gewohnheiten[2]. um uns an diese neuen Bedingungen anzupassen. Darüber hinaus kann eine Veränderung des Bewusstseins einen Wertewandel fördern.
Ein Beispiel der praktischen Anwendung: Bei der Beendigung der Apartheit in Südafrika Mitte der 90er Jahre arbeitete Don Beck u.a. mit Nelson Mandela und Frederik De Klerk zusammen. Nach Mandela konnte die Arbeit mit Spiral Dynamics jedoch nicht mehr weitergeführt werden, weil seine Nachfolger Thabo Mbeki und Jacob Zuma kein Verständnis dafür aufbringen konnten; ein Verständnis, das in der Regel während der Übergangsphase von Modern (5) zu Postmodern (6) einsetzt.

1. Archaisches Bewusstsein (Lebensbringer)
Zu Beginn des Lebens, noch gänzlich unbewusst und noch ohne ausgeprägte Individualität, also quasi «im paradiesischen Zustand», lebt der Mensch ganz im Augenblick, im Sein, im Netz des Lebens[3], in der Einheit und in einer natürlichen, symbiotischen Verbundenheit. Wichtig ist einzig irgendwie über die Runden zu kommen und zu überleben.
2. Magisches Bewusstsein (Verbundenheitsbringer)
Der Zusammenhalt in der Grossfamilie, im Stamm oder Clan bietet mit seinen Bräuchen, überlieferten Mythen und Ritualen hinreichend Schutz und vertraute Sicherheit. Dadurch fühlt sich der Mensch in die grössere Ordnung der Kräfte von Natur, Umwelt und seiner Ahnen gestellt. Weise, Älteste und Schamanen deuten die Welt und den Kosmos.
3. Krieger-Bewusstsein (Kraftbringer)
Weil das Leben «als Kampf des Stärkeren um Macht, Ehre, Respekt und Reichtum» erlebt wird, gilt es anderen immer überlegen zu sein und sich in selbstgewähltem Heldentum und bedenkenlosem Kampf gegen Feindbilder zu beweisen, Zwänge zu brechen und die Eigeninteressen sofort durchzusetzen. Als Macher:in gestalte ich «MEINE Welt» und baue «MEIN Imperium» auf.
4. Traditionelles Bewusstsein (Schönheitsbringer)
Jetzt gilt es, sich eine Identität zu schaffen durch Vorbilder (starke Autoritäten/Führer/Gurus) und Vorgaben (klare Regeln und Gesetze) als Garant für Recht und Ordnung, Sinn und Moral. Abweichungen und Mehrdeutigkeiten werden weder wahrgenommen noch geduldet. Die Religion interpretiert die Welt, die einem göttlichen Plan folgt und den Menschen ihren Platz zuweist.
5. Modernes Bewusstsein (Verständnisbringer)
Durch Erfahrungen lernend, will der Mensch im Streben nach Autonomie, Unabhängigkeit und persönlichem Glück die Welt und das Leben für sich und andere verbessern. Durch strategisches, effizientes Handeln und die Suche nach den besten Lösungen entsteht Fortschritt, der dank Wissenschaft und Technologie allen Menschen ein «gutes Leben» und materiellen Wohlstand ermöglichen will.
6. Postmodernes Bewusstsein (Liebesbringer)
Nach der äusseren Welt gilt es die Innenwelt zu erforschen, welche die Psychologie mit dem Unbewussten, Weiblichen verbindet. Mit dem neu entdeckten Fokus auf das Fühlen brechen patriarchale Traditionen jäh auf und der Mensch möchte aufgrund wachsender sozialer und ökologischer Verantwortung das Gefühl von Gemeinschaft und Einheit fördern und die Ressourcen von Natur und Gesellschaft unter allen teilen. Er kreiert Alternativen in Ernährung, religiösen Riten, sexueller Erfahrung und Orientierung, altem Wissen (Esoterik) und in neuen Formen der Erziehung.
Bei diesem Übergang folgt «ein grosser Bewusstseinssprung»: o Anstelle bisheriger Konkurrenz tritt Kooperation (Zusammenarbeit) o statt eines Fokus auf Konflikt neu auf Konsens (Einvernehmlichkeit) und o statt Trennung (Analyse) folgt Einheit (Synthese und Holismus) o sowie anstelle eines Entweder-oder-Mindset tritt das verbindende Sowohl-als-auch!
7. Integrales Bewusstsein I (Harmoniebringer)
Der Weg ist das Ziel, d.h. der Prozess mit offener Herz-zu-Herz-Kommunikation steht im Zentrum, welcher neuartige Erfahrungen, andere Sichtweisen und sogar Gegensätze zu einer neuen Einheit und Harmonie verbindet und das Gemeinwohl aller Wesen anstrebt. Dabei offenbaren sich neue Formen persönlicher, innerer Freiheit, ohne dabei anderen Menschen oder der Natur zu schaden.
8. Integrales Bewusstsein II (Weisheitsbringer)
Die Welt offenbart sich als unendlich bereichernde Experimentier- und Erfahrungsbühne für ein Wirken für die gesamte Menschheit, das Leben und das «Universelle/Göttliche», welches als «Geheimnis» wiedererkannt und respektiert wird. Ein starkes Kollektiv von Individuen verbindet sich und entfaltet eine minimalistische Lebensweise, in der Weniger tatsächlich Mehr ist.
9. Einheitsbewusstsein (Glücksbringer)
Alle Polaritäten fliessen in Harmonie zusammen und alle Handlungen kommen aus innerer Führung und Intuition – eine bewusste Verbindung/Verschmelzung in bedingungsloser Liebe!
In unserer Leistungsgesellschaft wird uns eingeprägt, alles zu werten. Doch – und ich betone es hier noch einmal – Spiral Dynamics ist ohne Wertung! Es gleicht einer neutralen Landkarte oder einem Navigationsgerät, welches einen Entwicklungsweg mit Ebenen zeigt, die aufeinander aufbauen. Es ist wie bei einem Fluss: Von der Quelle wird er mit seinen vielen Zuflüssen breiter und tiefer. Niemand würde sagen, dass die Donau oder irgendein anderer Fluss bei seiner Quelle weniger wertvoll oder wichtig wäre, als weiter unten. Jede Phase und jede Entwicklung sind wichtig.
[1] Ein Modell kann das Verständnis von Wirklichkeit näherbringen, wie beispielsweise das Stäbchenmodell für Moleküle. Doch jedes Modell ist nicht die Wirklichkeit selbst, nur eine Annäherung wie eine Landkarte. – Graves’ Meme-Modell ist sehr weit gefasst, denn ein Meme ist eine Weltanschauung, ein Wertesystem, eine psychologische Existenzebene, eine Glaubensstruktur, ein Organisationsprinzip, eine Denk- und Lebensweise.